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General
Oufkir
Eine Woche nach dem blutig niedergeschlagenen
Putschversuch erhielt ich von meiner
Brigadeleitung die Kunde, dass General Oufkir in
seiner Wohnung in Souissi auf mich wartete. Ich
nahm die Nachricht mit höchst gemischten
Gefühlen auf. Durch Oberst Mimoun Oubeja,
den Vizechef der Panzerbrigade, erfuhr ich
jedoch, dass sich Oufkir im Hauptquartier des
Armeestabes aufhielt. Ich fuhr mit meinem Auto
direkt dorthin. Dabei trug ich meine
Kampfuniform, wie an jenem Tage, als ich mit
Oufkir in meinem Panzer sass. Oufkir war soeben
zum Armeechef und Verteidigungsminister ernannt
worden.
Als ich an meinem Bestimmungsort eintraf,
erblickte ich rund zehn Offiziere - Majore,
Obersten, Generale -, welche im Wartesaal sassen
und der Ankunft Oufkirs harrten. Ich ging aufs
Sekretariat des Generals, um mich anzumelden.
Major Aroub, sein Sekretär, empfing mich.
Er konnte seine Verblüffung darüber
nicht verhehlen, dass ein kleiner Leutnant ohne
offizielle schriftliche Einladung in
Kampfuniform kam, um den Verteidigungsminister
und Armeechef persönlich zu treffen. Ich
teilte ihm mit, der Minister habe mich rufen
lassen. Aroub eröffnete mich, Oufkir habe
mich am Vormittag bei einer grossen Versammlung
mit Offizieren aus allen Teilen des Landes
lobend erwähnt. Danach ging Aroub in
Oufkirs Büro. Dieser kam sogleich heraus,
umarmte mich und forderte mich auf, ihm zu
folgen. Er gab Aroub zu verstehen, dass er keine
Zeit hatte, die Offiziere zu empfangen, die im
Wartesaal sassen.
Zusammen fuhren wir in Oufkirs Dienstwagen,
einem grossen schwarzen französischen DS.
Der Fahrer war ein Feldwebel. Während der
Fahrt sagte mir der Armeechef auf
französisch: "In letzter Zeit habe ich viel
über dich gehört. Du warst ein
tüchtiger Lehrer, ein ausgezeichneter
Kadett und ein mutiger Offizier." Dann
fügte er mit einem breiten Lächeln
hinzu: "Die Franzosen haben mir kein Arabisch
beigebracht. Willst du mich vielleicht
arabisieren, so wie du es mit General Gharbaoui
versucht hast?" Mir kam es seltsam vor, dass
sich zwei Marokkaner auf französisch
unterhielten. Oufkir hatte nämlich das
französische Schulsystem durchlaufen und
sprach miserabel arabisch.
Ich antwortete, ebenfalls lächelnd: "Es
ist nicht leicht, sich vom französischen
Kolonialismus zu befreien, der uns immer noch
beherrscht: sprachlich, kulturell und
politisch.ö
Im Zivil und mit seiner dunklen Brille, die
er stets trug, bat mich Oufkir herzlich in seine
Villa. Er pries die "Ruhe und Geistesgegenwart",
die ich seiner Auffassung nach am 10. Juli an
den Tag gelegt hatte, und fragte mich über
meine Kindheit und meine militärische
Karriere aus. Er stellte mir seine Kinder und
sein Löwenbaby vor, das - welch ein Zufall
- Skhirat hiess. Seine Frau war nicht zu Hause.
Er stellte mir auch allerlei Fragen über
die Stimmung in der Armee und unter meinen
Offizierskameraden. Dies stimmte mich ein wenig
misstrauisch. Um Bedenkzeit zu gewinnen, schlug
ich vor, binnen drei Tagen einen
ausführlichen Rapport über diese Frage
anzufertigen. Ich fügte hinzu: öWas
ich jetzt schon sagen kann, ist folgendes: Die
Armee ist durch und durch korrupt.ö
Oufkir liess seinen nicht
unbeträchtlichen Charme spielen, um mich
jungen Offizier zu betören. Ich war
höchst neugierig, was er wirklich dachte,
und fragte ohne Umschweife: "Was halten Sie denn
von der institutionalisierten Korruption, die
überall im Lande herrscht?" öMarokko
befindet sich in einer tiefen Krise", antwortete
er. "Falls der König keine durchgreifenden
sozialen Reformen anordnet, fürchte ich,
dass von der Armee noch weitere Putschversuche
ausgehen werden", fügte er verschmitzt
hinzu.
Obgleich der Ruf meines Gastgebers nicht der
beste war, schwand mein Misstrauen
allmählich. "Viele Generäle und
Minister sind vollkommen korrupt", meinte er.
Als besonders übles Beispiel nannte er
einen Oberst, von dem bekannt war, dass er eine
Unsumme staatliche Gelder veruntreut hatte. "Der
Mann ist ein Schurke, den man um einen Kopf
kürzer machen sollte. Doch ist er nur einer
von den vielen tausend Blutsaugern, die unser
Land ausplündern", hob Oufkir hervor. Ich
verabschiedete mich vom General und verliess
seine Luxusvilla, fester entschlossen denn je
zuvor, nötigenfalls einen Pakt mit ihm
einzugehen, um den Despoten mit den
blutbefleckten Händen zu stürzen.
Die Revolte in Skhirat hatte Oufkir
verändert, aber das wusste ich zu diesem
Zeitpunkt noch nicht. Mein eigenes Bild von
Oufkir begann sich grundlegend zu ändern.
Als ich, noch jung an Jahren, ein politisches
Bewusstsein entwickelte, stand Oufkir schon im
Rampenlicht. Er war Polizeichef, und die Polizei
verkörperte die Unterdrückung.
Doch weil sämtliche hohen
"Staatsmänner" in Marokko sich selbst mit
Vorliebe als Sklaven oder Werkzeuge des
Königs darstellen, um Karriere zu machen,
betrachtete ich ihn lediglich als Sklaven oder
als Werkzeug in den Händen des Monarchen,
obgleich ich mir das Ganze nicht so genau
überlegt hatte. Der marokkanische
König war ja, wie weiland Ludwig XIV in
Frankreich, der Staat selbst, und alle anderen
waren seine Knechte. Hassan geniesst es, wenn
seine Minister den traditionsreichen Spruch von
sich geben: "Majestät, ich bin Ihro
Sklave."
In Marokko gibt es gar keine Minister, welche
diesen Namen verdienen, sondern nur Sklaven. Ich
hasse den grotesken Personenkult um den
König, und die Vorstellung, man solle einem
Menschen blind gehorchen, ist mir zuwider. Man
soll einem Ideal und seinem Land treu sein. Doch
tyrannische Monarchien und Diktaturen
können keine freien Menschen gebrauchen.
Folgerichtigerweise bildet die Sklaverei (in
verschiedener Form) einen Teil der
marokkanischen Monarchie.
Sogar die aus Schwarzen bestehende
königliche Garde setzt sich aus Sklaven im
recht eigentlichen Sinne des Wortes zusammen,
welche Hassans Eltern zu Spottpreisen in
Schwarzafrika gekauft haben. Hassan kann sich
niemals richtig auf die Marokkaner verlassen.
Doch das Schlimmste an den Sklaven des
Königs ist, dass sie dem Volk
gegenüber ebeso grausam und arrogant sind,
wie sie sich dem Monarchen gegenüber
unterwürfig verhalten! Für Hassan sind
Polizisten und Soldaten nichts anderes als seine
privaten Kettenhunde.
Die marokkanische Polizei übt ein wahres
Schreckensregiment aus. Da Oufkir an der Spitze
der Polizei stand, machte das Volk ihn
natürlich für alles
verantwortlich.
Hauptverantwortlicher war aber natürlich
der König. Am nächsten von allen stand
diesem ein Mann, der lange Zeit Innenminister
gewesen war und Gdira (arabisch für
"kleiner Topfö) hiess. Hassan ist
selbstverständlich die "grosse Topf"
(ögedraö), sagte man, als Gdira
Innenminister war.
Nun ja, ich glaube, meine Ansichten über
Oufkir wurden von den allermeisten Offizieren
geteilt. Man muss sich aber in Erinnerung rufen,
dass Oufkir eigentlich nie in der marokkanischen
Armee Dienst geleistet hatte. Nach der
Unabhängigkeit kam er direkt von der
französischen Armee als privater Adjutant
des Königs in den Palast. Dann wurde er
Polizeichef, und anschliessend
Innenminister.
Erst nach der Skhirat-Revolte und seiner
Ernennung zum Armeechef (also seiner
Rückkehr zum Militär) änderte
sich unser Bild von ihm. Wir begannen zu ahnen,
dass er dem König nicht sonderlich
wohlgesinnt war. Wir stellten auch fest, dass er
keineswegs so allmächtig war, wie wir uns
vorgestellt hatten.
Ich begriff, dass sich in der Armee wichtige
Dinge abspielten, über die Oufkir
keineswegs auf dem laufenden war. So erfuhr er
beispielsweise erst aus dem Rundfunk, dass er
unmittelbar nach dem Skhirat-Putsch zum
Verteidigungsminister ernannt worden war. Zu
jenem Zeitpunkt hielt er sich in der Kaserne
Moulay-Ismail auf, wohin ich mit ihm von Skhirat
aus gefahren war. Gleichzeitig hatte Hassan
beispielsweise einen neuen Chef der
Panzerstreitkräfte (Oberst Hatimi) und
einen neuen Luftwaffenchef (Oberst Lyoussi)
ernannt, ohne Oufkir vorher darüber ins
Bild zu setzen. Alle erhielten ihre
Berufungsurkunden und Befehle direkt vom
König. Damals begriff ich, wie der
Gewaltherrscher auch die Polizei organisierte.
Mir wurde auch klar, dass er Oufkir nur als
Fassade brauchte. Das einfache Volk weiss nichts
von alledem.
Es bedarf wohl keiner Erklärung, dass
ich zu Oufkir anfangs höchst skeptisch
eingestellt war. Er muss ja wahrhaftig naiv
sein, dachte ich mir, wenn er sich einbildet,
mich für seine Absichten einspannen zu
können. Doch bei unser ersten Begegnung
trat er sehr bescheiden und sympathisch auf. Er
war ganz und gar nicht der Gewaltmensch, als den
ich mir ihn vorgestellt hatte. 69 Sein privates
Auftreten stand in diametralem Gegensatz zu
seiner Funktion. Von ihm ging eine starke
Ausstrahlung aus. Ich glaube, sein
Gerechtigkeitssinn war sehr ausgeprägt. Er
empfand einen instinktiven Hass auf die
marokkanischen Politiker und die Oberschicht,
die nur auf ihre Privilegien erpicht und darauf
aus waren, die Brosamen von Hassans Tisch
aufzuschnappen. Er erlebte aus nächster
Nähe mit, wie heuchlerisch ihre Moral war
und wie sie dem König die Stiefel leckten,
um seine Gunst zu erlangen. Sein schlechter Ruf
blieb ihm natürlich nicht verborgen. "Das
Volk glaubt", räumte er einmal
freimütig ein, "dass ich die Kuh festhalte,
während die Diebe sie melken".
Aber Oufkir war ein Karrieremilitarist; seine
politischen Ideen waren holzschnittartig und
instinktmässig. Eine bewusste politische
Philosophie ging ihm gänzlich ab. Als er in
die Armee zurückkehrte, fühlte er sich
zu den radikalen Offizieren hingezogen.
Schliesslich war er ein Soldat der alten
französischen Schule, mit all dem, was dies
an Gutem und Schlechtem bedeutet. Immerhin gab
es ja in Frankreich eine Revolution, und seither
dürfte es einem französischen Offizier
auf die Dauer reichlich schwerfallen, sich wie
ein Sklave behandeln zu lassen.
Vier Tage nach meinem ersten Besuch kam ich
abermals in seine Villa in Souissi. Ich brachte
ihm einen dreissigseitigen Rapport voller Zahlen
und Tatsachen. Der Bericht war in höchstem
Masse explosiv. Ich enthüllte die
Korruption unter den Offizieren und zeigte auf,
wie sie durch Vetternwirtschaft und Bestechung
Karriere gemacht hatten. Oufkir las den Bericht
aufmerksam und schloss ihn dann in einem Safe
ein, der in der Wand des Wohnzimmers eingelassen
war.
Leicht nervös fragte er mich, ob sonst
noch jemand diesen Rapport gelesen habe, was ich
verneinte. "Die Sache bleibt unter uns",
schärfte er mir ein. Er schwieg eine
Zeitlang und fuhr dann fort: "Vor sechs Monaten
habe ich zuhanden des Königs einen
ähnlichen Bericht über die Korruption
im Innenministerium abgefasst. Seine Antwort
lautete: Es ist nicht deine Sache, am System
herumzumeckern."
Oufkir nahm mich in seinen Garten (denn er
fürchtete sich vor verborgenen Mikrophonen)
und sagte: "Auf dem Papier war ich der
Innenminister, aber in Tat und Wahrheit war es
niemand anderes als der König, der die
Gouverneure, die Polizei und - mittels Bel-Alem,
den Kabinettssekretär und
Generalsekretär im Innenministerium - das
gesamte Departement lenkte. In der Armee und im
Verteidigungsministerium wird er bestimmt genau
gleich vorgehen. Ich kann wenig dagegen
ausrichten, aber diesmal werde ich den
Offizieren durch meine Taten beweisen, dass ich
die Korruption satt habe."
Nach dem Mittagessen erzählte Oufkir
eine Reihe Anekdoten vom Hof, die ein Licht auf
die Speichelleckerei der Minister gegenüber
dem Tyrannen warfen. Er rauchte eine Zigarette
nach der anderen, während seine Angriffe
auf das Regime immer heftiger wurden. So
berichtete er mir, dass der dunkelhäutige
Minister Snoussi bei einer Ministerial-
konferenz gesagt hatte: "Ich bin Ihr Sklave,
Majestät", worauf Hassan ihn anherrschte:
"Es reicht nicht, wenn du das sagst. Du musst es
auch wirklich sein." Oufkir kommentierte dazu:
"So hat diese Dynastie ihre Untergebenen stets
betrachtet."
Beim Nachtisch forderte mich "der zweite Mann
im Königreich" dazu auf, offiziell sein
nächster Mitarbeiter, sein Adjutant, zu
werden. Wir sollten zusammenarbeiten, um Marokko
zu retten. Ich nahm das Angebot unter der
Bedingung an, dass ich meine Panzertruppe
behalten durfte. Oufkir gestand mir das zu. Von
diesem Tag an war ich sein Vertrauter, und ich
ging in seinem Haus ein und aus.
Ich sass zusammen mit Ministern und
Generälen an seinem Tisch, die diesem
mächtigen Mann ihre Aufwartung machten. Sie
pflegten ihn alle öGeneral" zu nennen. Der
gefürchtete, inzwischen zum Leiter der
Spionageabwehr ernannte Dlimi wurde niemals
eingeladen. Trotzdem glaubte ich, die beiden
seien Freunde. Später entdeckte ich aber,
dass sie Rivalen waren und dass der König
sie rücksichtslos gegeneinander ausspielte.
Oufkir schüttete mir oft sein Herz aus,
wenn ich mit ihm im Auto sass. Wir bedienten uns
dabei der französischen Sprache, welcher
der mit uns im Wagen sitzende Leibwächter
nicht mächtig war. Bisweilen fuhren wir
auch ohne Chauffeur und ohne
Leibwächter.
In einer Septembernacht, genauer gesagt um
drei Uhr früh (denn Oufkir war ein
Nachtmensch), kam der General auf das Skhirat-
Komplott zu sprechen: "Tausend
Unteroffiziersaspiranten hätten die
Geschichte Marokkos zum besseren wenden
können. Wir hätten dann in unserer
Entwicklung einen hundertjährigen Sprung
nach vorne gemacht. Wir müssen die
Monarchie um jeden Preis loswerden. Hassan
hält das Banner einer Dynastie hoch, die
unser Vaterland an die Franzosen verschachtert
und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in eine
Katastrophe geführt hat.
Statt sich um die Staatsangelegenheiten zu
kümmern, vernascht der König jetzt in
Fes seine Nutten. Er hat einen Harem von 150
Frauen, von denen einige auf offener Strasse von
seinen Bütteln entführt worden sind.
Zudem ist er rauschgiftsüchtig. Sein Palast
ist zum Haschischparadies geworden. Sein
siebenjähriger Sohn nimmt bei Versammlungen
teil, wo man seine Hand küssen muss. Es ist
viel schlimmer als zu Zeiten Ludwigs des
Vierzehnten.ö
Hassan regiert Marokko wie seinen
Privatbesitz. "Eine Anekdote aus seiner Jugend
wirft ein bezeichnendes Licht auf seine
Persönlichkeit", bemerkte Oufkir. "Als er
Kronprinz war, forderte sein Geographie- lehrer
ihn auf, ihm ein paar Länder auf der Karte
zu zeigen. Als der zukünftige Hassan II auf
Marokko deutete, sagte er: 'Das ist der Hof
meines Vaters.' In Marokko gibt es keine
Trennung zwischen der Staatskasse und der
Schatulle des Palastes. Hassan besitzt alles. Er
regiert sein Land nach mittelalterlichem Muster
und betrachtet sämtliche Minister als
Sklaven. Er hat die absolute Macht inne.
Ausserdem ist er ein Zechbruder und dem
Rauschgift hoffnungslos verfallen. Besonders dem
Haschisch spricht er tagtäglich zu. Auch
LSD fehlt auf der Liste seiner Lieblingsdrogen
nicht. Ferner führt er ein lästerlich
ausschweifendes Sexualleben. Mit Vorliebe
vergewaltigt er jungfräuliche Mädchen,
und ab und zu lässt er in Rabat
Mädchen entführen, die dann
später in seinem Palast auftauchen. Geht er
auf Reisen, so befinden sich stets 50 bis 60
Frauen in seiner Gesellschaft, und die
Palastwachen dürfen diese nicht einmal
ansehen. Sie müssen sich umdrehen, wenn die
Autos mit den Frauen durch das Tor fahren.
Seine sexuelle Besessenheit ist so gross,
dass die Ehegattinen seiner Minister mit ihm ins
Bett hüpfen müssen. Dies ist eine Art
Tradition. Immer, wenn er eine Fte
springen lässt, lädt er die Minister
mit ihren Frauen ein. Zum Auftakt wirft er eine
Handvoll Edelsteine auf den Boden, um die sich
die Gäste dann raufen. Danach bittet er die
eine oder andere Frau in sein Gemach,
während die Minister glücksselig
draussen warten, legt er ihre Gattinnen auf die
Matratze. Die Minister sind stolz wie die
Pfauen, wenn sie erzählen können, wie
gut der König mit ihren Frauen
auskommt.
Und nicht genug damit: er unterhält noch
eine "spezielle Abteilung", deren Aufgabe darin
besteht, ihm europäische Mädchen zu
besorgen. Diese Sonderabteilung besteht aus zwei
Zuhältern, von denen sich der eine "Doktor
Robert" nennt, während der andere, ein
Grieche, unter dem Namen "Mehdi" bekannt ist.
Sie haben den Rang von "reisenden Botschaftern"
inne, sind mit Diplomatenpässen
ausgestattet und verfügen über zwei
Privatflugzeuge, um Mädchen aus Europa
einzufliegen. Man munkelt, der eine sei auf
Blondinen und der andere auf Brunetten
spezialisiert.
Hassans Hofschranzen sind auch nicht viel
besser als er. Sein verstorbener Bruder, Moulay
Abdallah, ein Schwuler, suchte sich seine
öFreunde" mit Vorliebe unter den
Söhnen der Minister aus. "Eines Tages nahm
er meinen eigenen Sohn, Raouf, in sein Schloss
Ifrane mit. Als ich davon erfuhr, wurde ich
fuchsteufelswild und machte einen Riesenkrach",
erinnerte sich Oufkir.
Er enthüllte ferner, dass der König
fast den ganzen Drogenmarkt in Marokko unter
seiner Kontrolle hatte. Dies ist ein offenes
Geheimnis. In der Armeespitze und innerhalb der
Verwaltung wissen alle, dass der
Königspalast seit langen Jahren ein
Umschlagsplatz für Narkotika ist und dass
alle Mohn- und Haschischplantagen dem Monarchen
persönlich gehören. Die Schüler
an der königlichen Militärakademie in
Kenitra sind allesamt Söhne der Offiziere
in Hassans Leibgarde. Man gibt ihnen den
Spitznamen "bahchouch", was
"Haschischsöhne" bedeutet. Als ich
Instrukteur an der Unteroffiziersschule bei
Ababou in Ahermoumou war, kreuzte eine ganze
Kohorte von ihnen dort auf und verursachte
heillosen rger, weil sie jede Menge Haschisch
mit sich führten, das sie ungeniert
verteilten. 73 Bei den Privatfesten des
Königs pumpen sich alle mit Drogen voll,
und wenn ein Minister dankend ablehnt, wird er
gleich als komischer Vogel abgestempelt, dem man
nicht trauen kann. Wo Korruption und Dekadenz
zum Bestandteil des Systems werden, muss man,
will man Karriere machen, mit den Wölfen
heulen.
Hassan trifft sich oft mit Grossdealern. Ich
erinnere mich noch lebhaft, dass Oufkir einmal
Besuch von einem Burschen erhielt, der sich
öDoktor Bihi" nannte. Oufkir stellte ihn
mir als "reisenden Botschafter seiner
Majestät" vor. Mit entging nicht, dass sein
Auftauchen dem Verteidigungsminister
Bauchgrimmen bereitete. Nachdem er gegangen war,
eröffnete mir Oufkir, dass der Titel
unseres Besuchers als öDrogenbotschafter"
zu interpretieren war. "Dokor Bihi" war der
Drahtzieher diverser internationaler
Verteilernetze. Er wohnte im Palast und hatte
eine reguläre Beschäftigung. Marokko
ist ein Paradies für Ganoven aller
Schattierungen. Galgenvögel und
Halsabschneider fühlen sich dort zu
Hause.
Über die Ben-Barka-Affäre
unterhielt sich Oufkir bei anderer Gelegenheit
mit mir. Was er mir berichtete, wurde mir viele
Jahre später von Dlimi bestätigt.
Oufkir zufolge wurde der Mord an Ben Barka von
König höchstpersönlich in Auftrag
gegeben. Dabei bediente er sich einer geheimen
Sonderpolizei, welche er bereits als Kronprinz
auf die Beine gestellt hatte, um gegen seinen
Adoptivvater Mohamed V zu intrigieren. Sie trug
den Namen "Special security service",
abgekürzt SSS. Mit Hilfe des SSS
kontrolliert der Monarch den Nachrichtendienst
und sogar die Armee.
An der Spitze dieser Sondereinheit steht
General Moulay Hafid Alaoui, ein
Angehöriger der Königsfamilie und
einer der engsten Berater Hassans. Bei der
Schulung des SSS standen CIA- und Mossad-
Experten Pate. Niemand ausser Hassan und seinen
nächsten Mitarbeitern sind über die
Einzelheiten dieser Organisation informiert;
vielen ist sogar ihre Existenz unbekannt.
Der SSS stand hinter der Ermordung des
bedeutenden Nationalistenführers Cheik
Al-Arab anno 1964, hinter der Entführung
eines im Exil weilenden Regimegegners, Hussein
Al-Manuzi, auf dem Flugplatz von Tunis im Jahre
1973 sowie hinter dem Meuchelmord an Omar Ben
Jeeloun, dem Chefredakteur der marxistischen
Zeitung "Al Moharir". Auch Ben Barka hat der SSS
auf seinem Gewissen. Einige Tage vor dessen
Ermordung rief Hassan Oukfir und Dlimi zu sich
und erteilte ihnen den Auftrag, nach Paris zu
fliegen und dort mit Ben Barka über seine
Heimkehr nach Marokko zu verhandeln. Dieses
Treffen war als Falle sowohl für Ben Barka
als auch für Oufkir und Dlimi geplant.
Als die beiden Minister in Paris angelangten,
entdeckten sie, dass Ben Barka bereits
entführt und umgebracht worden war. Bei den
Mördern handelte es sich um
französische Berufskiller, die Hassan
mittels des SSS angeheuert hatte. Ganz
offenkundig verfolgte der König die
Absicht, den Ruf Oufkirs und Dlimis zu
ruinieren, indem er sie als Komplizen der
Mörder erscheinen liess. Dadurch sollten
sie noch abhängiger von ihm werden. Sie
kehrten erbost nach Marokko zurück und
mussten es sich gefallen lassen, dass die
französische Regierung sie der
Mittäterschaft zieh. Natürlich wusste
General De Gaulle genau, was gespielt wurde, und
er sprach offen aus, dass der eigentliche
Verantwortliche Hassan II selbst war.
Oufkir teilte mir mit, auf Befehl des
Königs sei Ben Barkas Leiche mit
Chemikalien aufgelöst und sein Kopf von
SSS-Agenten in der marokkanischen Botschaft in
Paris in einem Diplomatenkoffer nach Rabat
geschickt worden. Der Kopf wurde innerhalb der
Palastmauern begraben, ganz in der Nähe der
juristischen Fakultät. Einem Feind den Kopf
abzuhacken und diesen dann innerhalb der Mauern
seines eigenen Hauses zu vergraben stellt in
dieser aus einem alten Piraten- und
Banditengeschlecht hervorgegangenen
Königsfamilie eine ziemlich alte Tradition
dar.
Ben Barka war, wie bereits früher
gesagt, der Mathematiklehrer Hassans gewesen.
Von ihm war der Vorschlag ausgegangen, ihn zum
Kronprinzen zu ernennen. In Hassans Familie
empfand man es als peinlich, in der Schuld eines
gewöhnlichen Sterblichen zu stehen.
So hatte der Grossvater des Königs einen
Soldaten getötet, der ihn vor dem
Ertrinkungstod errettete, als er beim
Durchqueren des Flusses Souss vom Pferde
gefallen war. Hassan selbst liess die Soldaten
beseitigen, die ihn in Skhirat vor dem Tode
bewahrt hatten. Er liess Major Assari
degradieren, welcher nach dem gescheiterten
Skhirat- Putsch die Attacke gegen Ababou in
Rabatt geleitet und auf diese Weise die
Monarchie gerettet hatte. Schliesslich liess er
auch allen marokkanischen und ausländischen
Agenten das Lebenslicht ausblasen, die am Mord
an Ben Barka beteiligt und dann nach Marokko
geflohen waren.
Manchem mag es vielleicht so vorkommen, als
stelle ich Oufkirs und Dlimis Rolle beim
Ben-Barka-Mord zu schönfärberisch dar.
Dabei gilt aber zu bedenken, dass sie mir alles
im Vertrauen berichtet haben und nie daran
dachten, dass es je publik werden würde.
Zudem hatte Oufkir ein Dossier über die
Ben-Barka-Affäre zusammengestellt, das zu
gegebenem Zeitpunkt veröffentlicht werden
sollte. Übrigens pfiffen es die Spatzen von
den Dächern, dass sowohl Oufkir als auch
Dlimi nur durch ihre jahrelangen
Handlangerdienste für die Diktatur und
ihren Kampf gegen die Opposition Karriere
gemacht hatten.
Uns, den "freien Offizieren", war es klar,
dass in einem zukünftigen, befreiten
Marokko, keiner der beiden je eine wichtige
Rolle spielen würde, aber wir brauchten
sie. Unsere "Ehe" mit Oufkir und Dlimi war von
Anfang an eine "Vernunftsehe". Beide waren
ursprünglich in Frankreich ausgebildete
Berufsmilitärs im Solde der Kolonialmacht.
Das galt ohnehin für die gesamte
marokkanische Armee. Unter einer demokratischen
Regierung wären sie auch Demokraten
gewesen, doch so wurden sie von Hassan genauso
ausgenutzt wie früher von den
Franzosen.
Im Grunde genommen waren bloss die Politiker
wie beispielsweise Ben Barka für die
Misswirtschaft des Regimes verantwortlich; die
Soldaten führten lediglich Befehle aus. Nun
waren aber die Politiker ausschliesslich auf
ihren eigenen Vorteil bedacht und biederten sich
deshalb beim König an.
Als Dlimi und Oufkir allmählich
entdeckten, dass sie in den Augen des Herrschers
nur die Rolle von Kettenhunden zu spielen hatten
und dass die ganze Armee wenig mehr als eine
Leibgarde Hassans war, begannen sie sich zu
ändern. Der König benutzte sie als
Hammer, doch ein Hammer erhält ja gleich
viele Schläge wie der Nagel, auf den er
trifft, und nimmt schliesslich auch Schaden. Als
sie sich voll bewusst geworden waren, wie
verkommen der König und sein Regime waren,
entschieden sie sich, ihrer Verantwortung als
Bürger und Menschen gerecht zu werden,
indem sie den Versuch unternahmen, die
herrschende Clique zu stürzen.
Ich selbst war grimmig entschlossen, mich
niemals politisch zu prostituieren, und ich
wollte mich unter keinen Umständen vor den
Karren der neokolonialistischen herrschenden
Kaste spannen lassen. So ganz war ich von Dlimis
und Oufkirs Unschuld in der Ben-Barka-
Affäre nie überzeugt. Doch für
meine Generation waren Ben Barka und Oufkir
bloss zwei Seiten derselben Medaille; sie hatten
sich viel zu tief mit dem Regime eingelassen,
auch wenn sie sich später änderten.
Sollte mein Land je die Monarchie
abschütteln und demokratisch werden, dachte
ich mir, so werde es wohl an der Zeit sein, sich
von Oufkir zu distanzieren und ihn wenn
nötig zu bekämpfen.
Was mir Oufkir über die Zustände am
Hof berichtet hatte, erschütterte mich
zutiefst. Einmal konnte ich meine Gefühle
nicht mehr verbergen, und ich sagte: "Sie haben
mir eine grosse Ehre erwiesen, indem Sie sich
mir anvertraut haben. Ich bin bereit, eine
Selbstmordattacke zu unternehmen, um den
König hinzurichten." "Nein", wehrte er ab,
"das ist meine eigene Aufgabe. Ich bin nicht
gewillt, die Ehre, den Tyrannen gerichtet zu
haben, einem anderen zu überlassen." Der
Hass auf den Terrorpotentaten und die
Unterdrückung ist in Marokko sehr tief
verwurzelt, und Hassan steht für alles, was
in unserem Land faul ist.
Von diesem Tage an waren Oufkir und ich
Verbündete. Ich schlief in einem Zimmer in
Oufkirs Villa in Souissi und fuhr von dort
allmorgendlich zur Moulay-Ismail-Verlegung, wo
ich immer noch Befehlshaber meiner Panzereinheit
war.
Mein mächtiger Verbündeter war bald
sehr gesprächig, bald äusserst
schweigsam. Er sprach mit mir oft über
Nasser und dessen ideologisches Manifest
"Nationale Charta", das er gründlich
studiert hatte.
Die amerikanischen Basen in Marokko hatten
seiner Auffassung nach zu verschwinden. "Die
grösste all dieser Basen ist der
Königspalast", meinte er. "Stimmt",
pflichtete ich ihm bei. "Die wichtigsten Basen
des Neokolonialismus sind nicht mehr
militärischer Art, wie es beim
herkömmlichen Kolonialismus der Fall war,
sondern "konomischer, kultureller und
politischer Natur.ö
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