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Israel Shahak:
Jüdische Religion,
Jüdische Geschichte
(Book online)
9
 


Totalitäre Geschichte


Bei einer Sache durften sie jedoch nicht in der Selbstgenügsamkeit verweilen, nämlich bei christlichen Angriffen gegen die Passagen des Talmud und der talmudischen Literatur, die sich gegen Nichtjuden im allgemeinen und Christen im besonderen richteten. Man muß wissen, daß solche Angriffe erst relativ spät in der Geschichte der christlich-jüdischen Beziehungen auftraten, und zwar vom 13. Jahrhundert an. (Vor dieser Zeit gingen die christlichen Autoritäten gegen den Judaismus entweder mit der Bibel oder mit allgemeinen Argumenten vor. Der Talmud war ihnen anscheinend ziemlich unbekannt.) Die christliche Kampagne gegen den Talmud leiteten offensichtlich von zum Christentum übergetretene Juden ein, die den Talmud sehr gut kannten und sich in vielen Fällen von der Entwicklung der christlichen Philosophie mit ihren starken aristotelischen (und somit universellen) Charakter angezogen fühlten.

Man muß vorausschicken, daß der Talmud und die talmudische Literatur - ganz abgesehen von den allgemeinen Andeutungen gegen Nichtjuden, die sich durch sie ziehen und ausführlich im Kapitel V ("V Gesetze gegen Nichtjuden") behandelt werden - einige sehr anstößige, besonders gegen das Christentum gerichtete Aussagen und Vorschriften enthalten.

Neben einer Reihe von skurrilen, unbewiesenen Behauptungen über das Sexualleben von Jesus, schreibt z.B. der Talmud, daß seine Strafe in der Hölle darin bestehe, in kochende Exkremente eingetaucht zu werden. Diese Aussage zielt nicht gerade darauf ab, den Talmud bei frommen Christen beliebt zu machen. Man kann aber auch die Vorschrift zitieren, nach der die Juden angewiesen werden, jedes Exemplar des Neuen Testaments, das ihnen in die Hände fällt, möglichst öffentlich zu verbrennen. Diese Vorschrift ist zwar nicht mehr in Kraft, wird aber heute noch praktiziert, wie etwa am 23. März 1980, als Hunderte von Exemplaren des Neuen Testaments öffentlich und zeremoniell in Jerusalem unter der Schirmherrschaft von "Jad Le Achim", einer religiösen jüdischen und vom israelischen Religionsministerium unterstützten Organisation, verbrannt wurden.

Jedenfalls setzten in vielen Punkten gut begründete Angriffe gegen den talmudischen Judaismus im Europa des 13. Jahrhunderts ein. Wir führen hier nicht die auf Unwissenheit beruhenden Verleumdungen an, wie die von geistig zurückgebliebenen Mönchen in kleinen Provinzstädten verbreitete Blutlüge, sondern die in den damals besten Universitäten Europas abgehaltenen und weitgehend unparteiisch geführten Disputationen, wie sie damals unter den Gegebenheiten des Mittelalters möglich waren.

Was war nun die jüdische oder - besser gesagt: die rabbinische - Reaktion? Die einfachste Antwort bestand darin, daß man die alte Waffe der Bestechung herausholte und Beziehungen spielen ließ. In den meisten europäischen Ländern konnte man fast alles durch ein Schmiergeld regeln. Nirgendwo galt dieser Grundsatz mehr als im Rom der Renaissancepäpste. Die Erstausgabe des vollständigen Kodex des talmudischen Gesetzes, die Mischne Tora von Maimonides, angefüllt nicht nur mit den widerwärtigsten Vorschriften gegen alle Nichtjuden, sondern auch mit expliziten Angriffen gegen das Christentum und gegen Jesus (dessen Namen der Autor mit dem frommen Zusatz "möge der Name des Verruchten vergehen" versieht), wurde im Jahre 1480 von anstößigen Stellen ungereinigt in Rom unter Sixtus IV., eines politisch sehr aktiven Papstes, der sich dauernd in ernsten Geldnöten befand, veröffentlicht. (Einige Jahre zuvor wurde die ältere Ausgabe des Goldenen Esel von Apulejus, aus dem die heftigen Angriffe gegen das Christentum nicht beseitigt wurden, gleichfalls in Rom veröffentlicht.) Alexander VI. aus der Familie der Borgia war ebenfalls sehr liberal in dieser Hinsicht.

Wie vorher gab es auch in dieser Zeit immer Länder, in denen zeitweilig eine Welle antitalmudischer Verfolgung ausbrach. Doch mit der Reformation und der Gegenreformation setzte ein weitreichender und folgerichtiger Ansturm ein, als sich eine höhere intellektuelle Ehrlichkeit und bessere Hebräischkenntnisse unter den christlichen Gelehrten verbreiteten. Vom 16. Jahrhundert an wurde die gesamte talmudische Literatur einschließlich des Talmuds in verschiedenen Ländern der Zensur unterworfen, in Rußland bis zum Jahre 1917. Während einige Zensoren, wie etwa in Holland, etwas laxer bei der Handhabung der Zensur vorgingen, verfuhren andere weitaus strenger und beseitigten oder änderten die anstößigen Passagen.

Alle modernen wissenschaftlichen Untersuchungen über den Judaismus, insbesondere die von Juden stammenden, haben sich aus diesem Konflikt heraus entwickelt. Bis heute tragen sie noch die unverkennbaren Züge ihres Ursprungs: Betrug, Apolegetik oder feindliche Polemik, Gleichgültigkeit oder sogar aktive Feindschaft gegenüber der Suche nach Wahrheit. Von damals bis zum heutigen Tag sind deshalb alle sogenannten jüdischen Studien über den Judaismus als Polemiken gegen einen äußeren Feind und nicht als interne Debatte gedacht.

Man muß wissen, daß dies anfänglich für die gesamte Geschichtsschreibung in allen bekannten Kulturkreisen kennzeichnend war (mit Ausnahme des antiken Griechenlands, wo die frühen liberalen Historiker später von den Sophisten wegen ihres mangelnden Patriotismus angegriffen wurden!). Dies gilt auch für die ersten katholischen und protestantischen Historiker, die gegeneinander polemisierten. Desgleichen sind die ersten nationalen Geschichtswerke in Europa mit gröbstem Nationalismus und mit Geringschätzung gegenüber anderen Nationen getränkt. Früher oder später kommt jedoch eine Zeit, in der man den Versuch macht, nationale oder religiöse Gegnerschaft zu verstehen und gleichzeitig tiefgreifende und wichtige Aspekte der eigenen Geschichte kritisch zu beleuchten. Diese beiden Entwicklungen laufen gleichzeitig ab. Nur wenn, wie es Pieter Geyl so gut ausgedrückt hat, die Geschichtsschreibung "eine Debatte ohne Ende" wird und keine Fortsetzung des Krieges mit historiographischen Mitteln bleibt, wird eine humane, nach Genauigkeit und Ausgewogenheit strebende Geschichtsschreibung möglich; sie wird dann zu einem der wirkungsvollsten Instrumente des Humanismus und der Selbsterziehung.

Gerade aus diesem Grunde schreiben die modernen totalitären Regimes die Geschichte um oder bestrafen Historiker. Wenn eine ganze Gesellschaft die Rückkehr zum Totalitarismus versucht, wird totalitäre Geschichte geschrieben, und zwar durchgesetzt nicht durch den Zwang von oben, sondern durch den viel wirksamereren Druck von unten. Gerade dies geschah in der jüdischen Geschichte und bildet das erste Hindernis, das wir überwinden müssen.

Folgende Seite:
Verteidigungsmechanismen

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Israel Shahak:
(Online)
"Jüdische Religion, Jüdische Geschichte":
Inhaltsverzeichnis: 

A/ 1- Israel - ein Utopia für Auserwählte?

B/ 6- Vorurteile und Verfälschungen

C/ 12- Orthodoxie und Interpretation

D/ 23- Die Bürde der Geschichte

E/ 33- Gesetze gegen Nichtjuden

F/ 49- Politische Konsequenzen


 
 

"Wenn ich ein arabischer Führer wäre, würde ich nie einen Vertrag mit Israel unterschreiben. Es ist normal; wir haben ihr Land genommen. [...] Sie sehen nur eine Sache: Wir kamen und haben ihr Land gestohlen. Warum sollten sie das akzeptieren?"

- David Ben-Gurion, erster israelischer Premierminister

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